Atme, atme!
Vielredner und wie man mit ihnen umgeht!
Haben Sie auch schon einmal die Straßenseite gewechselt, weil Ihnen auf Ihrer die wirklich nette und hilfsbereite Nachbarin Frau O. entgegenkam, die leider so viel redet? So viel und in einem Tempo, dass Sie schon heimlich nach Kiemen vor ihren Ohren gesucht haben? Wann atmet die?, haben Sie sich schon oft gefragt. Zu oft. Und den anderen Nachbarn scheint es mit ihr genauso zu gehen. Außer Herrn M.! Er wurde schon öfter dabei beobachtet, wie er sich mit Frau O. unterhielt, ja, Sie haben richtig gelesen, es war kein Monolog, er durfte auch etwas sagen! Und er konnte in unter einer halben Stunde weitergehen. Unglaublich. Wie macht er das? Wir haben ihn zum Interview getroffen.
Interviewerin (I): Herr M., man hat Sie jetzt schon öfter dabei beobachtet, wie Sie aus einem Gespräch mit Frau O. in unter einer halben Stunde wieder herauskamen, Zeugen berichten sogar teilweise von nur circa zehnminütigen Unterhaltungen. Wie schaffen Sie das?
Herr M.(M): Nun, ich wechsle gerne mal ein Wort mit Nachbarn, ist doch nett. Allerdings habe ich meist, wenn ich aus dem Haus gehe, einen Grund dafür, das heißt, ich kann jetzt nicht stundenlang meine Zeit verplaudern.
I: Aber gerade das passiert den meisten Nachbarn doch mit Frau O.! Warum Ihnen nicht?
M: Nun, Sie haben recht, Frau O. redet gern und viel und das finde ich auch schön. Schöner jedenfalls als die Stoffel, die den Mund nicht aufbekommen. Und sie hat ja auch etwas zu erzählen! Sie ist ne Menge rumgekommen, interessante Frau. Wussten Sie, dass Sie früher Alpakas gezüchtet hat? Als die noch gar nicht in Mode waren?
I: Ach was?! Interessant. Nun, das mag ja alles stimmen, aber wie schaffen Sie es, bei ihr zu Wort zu kommen? Und dann auch loszukommen, ohne unhöflich zu sein – denn das sind Sie ja augenscheinlich nicht, sonst würde Frau O. Sie nicht immer so freudig begrüßen!
M: Naja, früher habe ich immer gedacht, ich muss abwarten, bis sie mal Luft holt. Aber sie braucht weniger Atem als manch anderer, denke ich inzwischen. Denn es nutzt nichts, darauf zu warten. Deshalb habe ich andere Strategien entwickelt: Zum einen lobe ich Sie immer wieder zwischendurch, mache ihr Komplimente. Dann guckt sie kurz verdutzt und freut sich und in diese Verdutzung hinein spreche ich dann, trage ganz schnell mein Anliegen vor. Wenn sie etwa über Pflanzen spricht, lobe ich ihren ausgezeichneten Farbsinn bei der Auswahl ihrer Balkonpflanzen, füge dann aber schnell hinzu, sie möchte beim Gießen darauf achten, dass nicht alles hinuntertropft, wenn wir unten im Garten frühstücken wollen.
I: Ah, toll, und hält sie sich daran?
M: Ja, sicher, sie ist ja eine freundliche Person. Ach ja und außerdem bestätige ich sie oft, in ihren Gedanken und Ansichten – natürlich nur, wenn die mir wirklich gefallen – das freut sie und ich kann auch etwas dazu sagen.
I: Wie sieht so eine Bestätigung aus?
M: Ich sage so etwas wie: Sehr gute Idee! Und dann kann ich fortfahren mit dem, was ich noch loswerden möchte.
I: Sie versuchen also gewissermaßen, die Führung des Gesprächs zu übernehmen?
M: Ja, richtig. Das gelingt auch, indem ich unterbreche, mich aber dafür entschuldige.
I: Wie kann ich mir das vorstellen?
M: Nun, indem ich sage: Frau O., entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie da ganz dreist unterbreche, wenn ich das jetzt nicht loswerde, vergesse ich es wieder: wann ist nochmal der Nachbarschaftsflohmarkt?
I: Also unterbrechen mit Ansage?
M: Genau. Und mit der Bitte um Entschuldigung. Allerdings mache ich das nicht sofort am Anfang, außer ich habe es wirklich sehr eilig, weil ich zum Bus muss oder so. Aber dann sage ich meist auch: Hallo Frau O., ich habe leider keine Zeit für einen Plausch, ich muss zum Bus!
I: Und das akzeptiert sie?
M: Natürlich.
I: Gut, und welche Möglichkeiten gibt es noch, eine Vielrednerin wie Frau O. in ihrem Redefluss zu stoppen und selbst zu Wort zu kommen?
M: Ich höre zu und fasse das Gesagte kurz zusammen, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich verstehe, worum es ihr geht. Das schmeichelt ihr natürlich auch und zeigt mein aufrichtiges Interesse. Ich mag Katzen und Blumen und Alpakas ja auch.
I: Insgesamt ist es also wichtig, dass Sie sie nicht nur abwürgen –
M: Nein, nein, auf keinen Fall, das wäre ja äußerst unhöflich! Außerdem wissen ja die meisten Vielredner von ihrer kleinen Marotte, weil der Partner oder Freunde sie schon darauf hingewiesen haben, dass sie viel spricht. Dennoch ist es wichtig, höflich und verständnisvoll damit umzugehen.
I: Und wie machen Sie, Herr M., das mit Ihren Kunden? Sie arbeiten in der Apotheke und da sind bestimmt auch oft redselige Menschen dabei.
M: Ich mache das natürlich genauso wie mit Frau O.!
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