Sie sind ja pünktlich!
„Was ist denn los, warum weinen Sie?“
Sie, ein freundlicher Elektriker, der pünktlich auf die Minute bei ihr geklingelt hat, müssen sich Sorgen um die nette Dame machen, die Ihnen die Türe aufgemacht und Sie begrüßt hat? Warum?
Arnd Meier, so heißen Sie jetzt mal als Beispiel, Sie haben sich also höflich vorgestellt und gesagt, von welcher Firma Sie kommen. Und normalerweise freuen sich die Kunden, wenn Sie da sind, denn sie hatten ja ein Problem, weshalb sie bei Ihrem Chef angerufen haben und Sie können es – in den allermeisten Fällen – lösen. Eigentlich freuen die Kunden sich also. Aber hier?
Die Dame kann sich kaum beruhigen. „Komme ich ungelegen, wollen wir den Termin verschieben?“, fragen Sie besorgt.
„Nein, nein“, schüttelt die Dame den Kopf und schluchzt: „Sie sind pünktlich!“
Aha, denken Sie, da liegt der Hase im Pfeffer/das also ist des Pudels Kern/ darum geht es anscheinend! Ihre Pünktlichkeit! Sie kommen immer wie ausgemacht, das stimmt, Sie legen sich ja schließlich Ihre Termine so, dass Sie stets einen kleinen Zeitpuffer haben, damit Sie zu jedem Kunden pünktlich kommen.
Und falls Sie absehen können, dass Sie doch etwas länger brauchen, rufen Sie rechtzeitig beim nachfolgenden Kunden an, damit dieser sich darauf einstellen kann. Allerdings verspäten Sie sich nie mehr als eine halbe Stunde, das haben Sie sich fest vorgenommen und das schaffen Sie auch, weil Sie gut planen, am Telefon bei Ihren Kunden nachfragen, bis Sie ganz genau wissen, was zu tun ist, sich genau auf den Termin vorbereiten und sich genügend Zeit für jeden einzelnen nehmen.
Hier und heute jedoch sind Sie ganz durcheinander. Gut, es kam schon öfter mal vor, dass Kunden überrascht waren, weil sie Pünktlichkeit und Sorgfalt anscheinend von Ihren Kollegen nicht gewohnt waren, aber so schlimm? Haben Sie sich vielleicht vertan? Allmählich sind sich verunsichert und fragen vorsichtshalber noch einmal nach nach: „Wir hatten doch halb elf vereinbart, und jetzt ist es“, er sieht auf seine Uhr: „Zehn Uhr zweiunddreißig?“
„Ja!“, schluchzt sie, „Das hatte ich noch nie! Sie sind pünktlich zum verabredeten Termin hier, sie sind freundlich und höflich, sehen manierlich aus, und das als Handwerker! Und wenn Sie mir jetzt noch bei der Reparatur meiner Dunstabzugshaube unkompliziert und schnell helfen können, flippe ich aus!“
Was um alles in der Welt meinte Frau Hofmann denn jetzt mit „Sie sehen manierlich aus“? Selbstverständlich achten Sie auf Ihr Äußeres, Sie sehen zu, dass Sie rasiert und frisch geduscht sind, wenn Sie Ihren Arbeitstag beginnen. Dass Ihre Kleidung auch abends noch völlig fleckenfrei ist, können Sie nicht garantieren, Sie finden, man kann ihr ruhig ansehen, dass Sie gearbeitet haben.
Aber Sie sorgen dafür, dass Sie Ihre Arbeitskleidung regelmäßig in die Wäsche geben und dass Sie insgesamt ein gepflegtes Erscheinungsbild abgeben – so fühlen Sie sich auch selbst wohler. Und Sie mögen es ja selbst auch lieber, wenn Leute, die Ihr Zuhause betreten, einigermaßen gepflegt sind.
Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hat, führt Frau Hofmann Sie in die Küche. „Und dass Sie so schnell kommen konnten, ich musste nicht wochenlang auf einen Termin warten…“ Sie ist doch immer noch ganz schön aufgewühlt, kann es noch nicht richtig begreifen. „Möchten Sie einen Kaffee?“, fragt sie mit roten Augen.
Nein, natürlich lassen wir unsere Kunden nicht ewig warten, wir nehmen nur so viele Aufträge an, wie wir auch ausführen können, denken Sie im Stillen für sich. Und an eine Kaffeepause denken Sie natürlich noch gar nicht, deshalb antworten Sie: „Gerne, aber lassen Sie mich doch zuerst einmal einen Blick auf die Abzugshaube werfen. Ging sie im Betrieb aus, oder erst gar nicht an?“
Sie stellen Ihren Werkzeugkoffer vorsichtig ab und vergewissern sich, dass Sie nichts beschädigen, während Sie sich über den Herd beugen, sie fragen sogar, ob sie den kleinen Blumentopf ein bisschen zur Seite stellen dürfen, was wieder ein ungläubiges Kopfschütteln und einen tiefen Seufzer von Frau Hofmann zur Folge hat: „Umsichtig, er ist umsichtig!“, flüstert sie vor sich hin. Sie schalten die Haube an und aus und stellen fest, dass sie nicht funktioniert.
„Sie ist einfach nicht wieder angegangen, ausgerechnet, als ich Fisch gebraten habe, ich habe dann die Fenster aufgerissen, aber ich finde, es müffelt immer noch nach Fisch.“ Frau Hofmann klingt entschuldigend.
Das macht Ihnen nichts aus, und wenn doch, zeigen Sie es nicht. Sie lächeln, während Sie in Ihrem Werkzeug nach dem passenden Kreuzschlitzschraubendreher suchen. „In einer Küche darf es ein bisschen nach Essen riechen“, lassen Sie die Kundin wissen. Schnell haben Sie das Problem entdeckt, nachdem Sie das Gehäuse abgenommen und sich intensiv mit den Kabeln beschäftigt haben: „Der Schalter ist defekt. Alles andere scheint zu funktionieren. Da haben Sie Glück. Ich habe einen da, baue den ein und dann müsste sie wieder laufen.“ Da Sie sich gut auf den Termin vorbereitet haben, haben Sie die meist gebrauchten Ersatzteile dabei und müssen nicht noch einmal oder mehrmals los, um sie aus „dem Lager“ oder „dem Baumarkt“ zu holen und so noch weitere Fahrten berechnen zu können, und können sie schnell und unkompliziert einbauen. Sie arbeiten sauber und präzise, bringen alles wieder an Ort und Stelle, reinigen Ihren Arbeitsplatz und nehmen Ihren Müll mit.
Zum Abschied fällt Frau Hofmann mit den Worten: „Ich habe Halluzinationen, so einen Handwerker gibt es doch gar nicht …“ in Ohnmacht.
Schade. Dabei hätten Sie sich jetzt einen Kaffee mehr als verdient
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